Der Tatort brachte zum Tag der lesbischen Sichtbarkeit völkische Lesben auf den Bildschirm

28.04.2020

Ein Kommentar zum Lindholm/Schmitz-Tatort "National feminin" vom 26. April 2020

(Achtung: teilweiser Spoiler)

Ich denke, es war Zufall, dass genau am Internationalen Tag der Lesbischen Sichtbarkeit am 26. April ein Tatort mit lesbischen Hauptfiguren ausgestrahlt wurde. Aber ob Zufall oder nicht, ist es ja nicht unbedingt schön, wenn die lesbischen Hauptfiguren völkisch-nationalistisch sind, und das ausgerechnet an diesem Tag. Wo wir uns ja eigentlich feiern wollen oder zumindest von der besten Seite zeigen. Ging der Tatort also zurück in die 1950er Jahre, als Lesben in Filmen hauptsächlich Täterinnen, Mörderinnen oder am Ende des Films zur Heterosexualität bekehrt oder tot waren? Jein.

Die eine junge Frau, die mit einer älteren, lesbisch verheirateten Frau eine Affäre hatte, ist gleich zu Beginn des Tatorts tot. Sie ist der Fall zu dem die zwei Kommissarinnen Lindholm und Schmitz gerufen werden. Als die Ermordete noch lebte, machte sie Videos für "Europas Töchter" und die "Junge Bewegung" - die filmische Darstellung der real existierenden völkischen Frauen und der "Identitären Bewegung" bleibt nahe am Original. Wie würde das also weitergehen? War sie Opfer ihrer Geliebten oder deren Ehefrau? Würde es eine lesbische Mörderin geben in diesem Tatort? Das wäre definitiv die schlechteste aller Varianten. Dann hätte ich ausgeschaltet. Und einen Protestbrief ans Fernsehen geschrieben. Nicht dass es keine Gewalt in lesbischen Beziehungen gibt, die gibt es sehr wohl und nach manchen Untersuchungen nicht weniger als in nicht-lesbischen Beziehungen. Das Problem einer solchen Darstellung im Tatort wäre die zumindest historische Überproportionalität solcher Handlungen in Filmen.

Die zweite der von Lindholm gleich zu Beginn eingegrenzten drei Varianten ist, dass sie Opfer eines politisch motivierten Mordes geworden ist. Wohl auch um den Spannungsbogen dieser Variante zu halten, werden die linken Männer, die im Film vorkommen, eine Spur zu übertrieben als aggressiv, gewaltbereit und gewalttätig dargestellt. Das geht in Richtung Hufeisentheorie. Verliert dann aber etwas an Dynamik und wird inhaltlich kaum weiter ausgebreitet.

Fast fehlend in den 45 Minuten sind linke Frauen. Antifaschistische Aktivistinnen sind zu Beginn kurz zu sehen bei einem Protest gegen die zweite lesbische Hauptfigur: die Geliebte der Ermordeten ist Universitätsprofessorin, die deutlich antifeministisch argumentiert. Und bei öffentlich werden ihrer Affäre zur "Tochter Europas" wären ihre Verbindungen zu Rechtsextremen wohl ein Hinderungsgrund geworden für ihre weitere Karriere.

Bei einem Protest gegen ihre Wahl zur Verfassungsrichterin sind die antifaschistische Aktivistinnen zu sehen, die mit entsprechenden Transparenten gegen den Antifeminismus und die Frauenverachtung der Rechten protestieren. Und das in Göttingen. An dem Ort also, wo sich - in der Realität! - vor zwei Jahren das Netzwerk "Lesben gegen Rechts" gegründet hat. Die LgR-Fahnen waren nicht im Film. Aber ein bisschen unheimlich nahe war das trotzdem.

Wäre es eine Überfrachtung der Handlung gewesen, auch die linken Frauen sichtbarer zu machen, gar lesbische? Wahrscheinlicher ist, dass das der Drehbuchautorin gar nicht erst in Sinn gekommen ist. Wie schon oft in den Lindholm-Krimis kommt das Thema Feminismus von ihr selbst. So zählt sie bei der Festlegung der Fahndungsrichtungen geich mal auf, wieviele Frauen von Partnern oder Ex-Partnern umgebracht werden. Sie nimmt den feministischen Diskurs also selber auf.

Doch den Spiegel vorgehalten?

Recht hat der Tatort ja damit, dass es völkische, rechte und rechtsextreme Lesben gibt. Unter anderem deshalb ist auch das Netzwerk "Lesben gegen Rechts" entstanden. Und ja klar, es wäre netter, wenn es diese lesbischen Rechten nicht gäbe. Und noch viel netter, wenn Lesben in Krimis oder überhaupt im Fernsehen ausschliesslich als tolle, selbstsichere, nichts als das Gute wollende Frauen dargestellt würden. Das entspricht einerseits jedoch nicht der Realität - andererseits wurde der Titel "National feminin" in den Vorschauen zur Schlagzeile "Völkische Lesben im Tatort". Und so zum Magnet um mehr Menschen vor die Bildschirme zu bringen. Durch die Verquickung des einen Bösen mit dem (vermeintlich) anderen Bösen auch solche mit lesbenfeindlicher Haltung. Der Twist dabei ist, dass die Lesben nicht eigentlich die Hauptrollen spielen in diesem Tatort. Sie dienen also als Verkaufsargument und der Skandalisierung. Der zweite Twist ist, dass die junge völkische Frau vor ihrer Ermordung einen linken, antifaschistischen Mann kennenlernt, sich in ihn verliebt und sich ihr Weltbild dadurch verändert. Ist der neue, heutige Topos also: rechtsextreme Lesben können durch einen Mann zum Ausstieg bekehrt werden? Wird die plumpe Heteronormativität früherer Zeiten in dieser politisierten Form aktualisiert?

Die eigentliche Hauptrolle in diesem Tatort spielt - meiner Meinung nach - die Kommissarin Anais Schmitz (hervorragend gespielt jetzt schon in der dritten Folge von Florence Kasumba). Während Charlotte Lindholm den feministischen Part macht, ist Schmitz dem Rassismus ausgesetzt - dem Rassismus der Rechten und Rechtsextremen, aber auch dem Rassismus des Alt-68ers (der es grade noch knapp bemerkt) und auch dem Rassismus ihrer Kollegin Lindholm, die sich für sie einzusetzen meint. Dieser Strang zieht sich durch die ganze Episode, ohne weiter thematisiert zu werden, aber deutlich für alle, die es hören und sehen wollen.

Und das bringt mich zurück zum Tag der lesbischen Sichtbarkeit. Das Internet hat gebrummt am Sonntag. Organisationen, Beratungsstellen, Vereine, einzelne Lesben und auch verschiedene Bundesämter haben unzählige Beiträge online gestellt. Es war wirklich toll! Den ganzen Tag waren die Timelines voll mit lesbischen Beiträgen. Witzigen, diskutierenden, historischen, analysierenden, fröhlichen und bunten. Ausser dass fast alle diese Beiträge, bis auf ein paar Ausnahmen, durchgehend weiss waren. Ich habe kaum Beiträge gesehen wo Schwarze Lesben, jüdische Lesben, lesbische Romnija oder andere Angehörige einer doppelt diskriminierten Minderheit vorkamen.

Seit in den 1990er Jahren Schwarze Lesben ihre Nichtinkludierung, ihr strukturelles nicht Vorkommen in lesbischen Zusammenhängen deutlich kritisiert haben, hat sich nicht viel geändert. Noch immer nicht. Wie ich zu diesem Thema immer auch sage, spielt die hohe Segregation der gesamten deutschen Gesellschaft dabei eine grosse Rolle. Wie neuere Untersuchungen (1) zeigen, hat beispielsweise die Segregation von Wohngebieten nach ethnischer Herkunft zwar etwas abgenommen. Zugenommen hat dabei aber gleichzeitig, dass weisse Eltern in mehr vermischten Wohngegenden ihre Kinder auf Privatschulen schicken. In der Schule wird das Zusammenleben also tendenziell verhindert. Als Erwachsene müssen wir es deshalb aktiv angehen. Tun wir das!

In diesem Sinne war dieser Tatort, ob zufällig genau an diesem Tag ausgestrahlt oder nicht, für mich ein guter Beitrag zum Tag der lesbischen Sichtbarkeit. Halten wir uns den Spiegel vor und schauen, was es zu tun gibt. Gegen Rechte und Rechtsextreme und deren Rassismus, aber auch gegen die nach wie vor bestehende Segregation, die den Rassismus nicht weniger werden lässt. Auch den der feministischen, der antifaschistischen, der linken, der bürgerlichen, der humanitär ausgerichteten Lesben nicht.

Der abschliessende Spoiler

Für diejenigen, die sich weder den Tatort und auch keine ermordete Frau anschauen wollen, hier auch noch den Schluss, die Auflösung der Episode. Der Mörder ist einer der Rechtsextremen. Als früherer, abgelehnter Liebhaber entspricht er den meisten Frauenmördern in der Realität. Dass auch noch hineinspielt, dass er ihren Abgang aus der rechten Szene verhindern wollte, macht diesen Plot zur besten Lösung. Die Krimi-Welt ist in Ordnung. Das Publikum mit lesbenfeindlicher Haltung hat eigentlich nicht viel zu sehen bekommen, sondern musste sich - zumindest theoretisch - eher fragen wo sie stehen in der aktuellen Gemengelage. Die Diskriminierung von Lesben war aber auch kein Thema.

(1) In dieser Untersuchung resp. in diesem Diskussionspapier geht es um das Thema Segregation in Bezug auf die Ebenen Klasse/Armut, ethnischer Hintergrund und Alter in Städten. Sehr gut lesbar, zum Teil amüsant formuliert, ein Beispiel: "[...] die nach der Wende "blühenden Landschaften" in Form von Innenstadtsanierung und Suburbanisierung".

Marcel Helbig, Stefanie Jähnen: "Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte? Trends und Analysen der Segregation in 74 deutschen Städten" Discussion Paper P 2018-001, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2018)

Siehe hier:

https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2018/p18-001.pdf


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